„Wehret den Anfängen“ – es ist wohl unzählbar, wie oft dieser Spruch in der Geschichte auf Entwicklungen zugetroffen hat, die ein Land oder eine Sache nachhaltig ins Negative verändern sollten. Sicher, dort waren auch Ereignisse dabei, die zu krass sind, als dass man sie mit dem Fußball ernsthaft verbinden sollte – aber dennoch: Die jüngsten Geschehnisse in Hamburg und leider auch hier in Braunschweig respektive Düsseldorf müssen die Alarmglocken schrillen lassen!
Die deutsche Justiz ist seit Begründung des Grundgesetzes durch die Besatzungsmächte und Intellektuellen beim Verfassungskonvent am Herrenchiemsee in drei Säulen unterteilt: Judikative, Legislative und Exekutive. Das dürfte auch jeder Fußballfan mal irgendwann in der Schule gelernt haben und vermutlich auch um die unverrückbare Bedeutung dieser Trennung gehört haben. Die Judikative als Gerichtsebene und die Legislative (der Gesetzgeber, spricht die Politiker) mal ausgeblendet, waren für uns Fans eigentlich nur die Exekutive (die Polizei) interessant. Und lange gab es da auch keine Probleme, die Polizei verstand sich als Art Ordnungsmacht beim Fußball und setzte den Gesetzeskatalog mal mehr und mal weniger konsequent um. Während es manchem Beamten egal war, ob dort gerade ein Aufkleber verklebt und damit eine minimale Sachbeschädigung verübt wurde, holte manch anderer schon bei kleineren Beleidigungen den Knüppel raus. Die Politik betrachtete das mit entsprechender Distanz und hielt sich raus – es gab ja auch keinen nennenswerten Grund zum Handeln, marodierende Banden wie in Osteuropa und Todesopfer wie in Italien waren und sind schließlich ganz weit weg von der schönen heilen Welt des deutschen Fußballs. Sicher, gerade mancher Polizeigewerkschaftler klagte dennoch über Überstunden und ab und zu verletzte Beamten – das tat er aber meistens doch eher, um sein öffentlichkeitsabhängiges Amt zu rechtfertigen.
Doch dann kam der Sommer diesen Jahres: Im Zuge der Zusammenstellung der 2. Bundesliga und um die gescheiterte und in den Medien stark diskutierte Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ schien erstmals in den Köpfen aller drei (!) Standbeine des Gesetzesapperates irgendein Schalter umgelegt worden sein – leider in die falsche Richtung: Klar, als Reaktion und zur Untermalung der Forderungen wurde in deutschen Stadien etwas mehr gezündet als in den Jahren zuvor – doch im Vergleich zu den achtziger und neunziger Jahren war das genauso wenig von Relevanz, wie die Gewaltentwicklung rund um die Stadien. Die ist gerade in den oberen Ligen spürbar zurückgegangen – wer erlebt bei einem Bundesligaspiel noch ernsthafte Ausschreitungen? Lediglich die mediale Rezeption war auf einmal eine andere: Pyrobilder stellten Chaoten dar, Sachbeschädigungen in den Straßenbahnen wurden von „Hooligans“ verübt. Eine Stimmung gegen die organisierten Fußballfans wurde konstruiert, bewusste Angstbilder durch die Zeitungen geformt und verbreitet. Eine Entwicklung, die nun erstmals auch Politik und Gerichte auf den Plan rief und damit eine neue Dimension erreichte: Die Polizei nahm die Vorlage der Medien dankend an, die konnte nach Herzenslust über „unverantwortliche Zustände in den Stadien“ klagen und damit ein Fußballbild befeuern, welches in dieser Form schlichtweg nicht existiert – für den unwissenden Leser aber hochgradig dramatisch klingt. Und die Politik muss darauf reagieren, eine Entwicklung die es so bisher nicht gab.
Wer Politiker ist, der ist auch gleichsam bis zu einem bestimmten Grade Populist. Heißt er lebt von markanten Thesen für den Wähler, je nach eigenem Parteibuch eher in die konservative, oder die links-offene Richtung. Und weil viele Regierungen derzeit nun mal aus dem eher schwarzen Lager kommen, bekommen Polizei und Medien ein ziemlich offenes Ohr: Natürlich müssen diese Zustände behoben werden und natürlich gehören derartige Leute weggesperrt – am Besten für immer. Das hört der bürgerliche Wähler gerne, er ist schließlich kaum informiert und glaubt die Horrorszenarien in Sachen Pyro und Gewalt. Was folgt sind krasse Vorgaben der Politik, die erstmals mit der Polizei auch öffentlich paktiert und damit den Fans ein Gegenpol vorsetzt, der im Grunde nicht zu knacken ist. Und hiermit sind wir bei den Beispielen aus Düsseldorf und Hamburg: Die Polizeidirektion Braunschweig hat mit richterlicher Hilfe durchgesetzt, dass Personen, die beschuldigt (!) sind, Pyrotechnik beim Gastspiel hier an der Hamburger Straße gezündet zu haben, öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben werden und damit eine öffentliche Hetzjagd auf sie losgetreten wird. Der dazugehörige Vorwurf lautet das „Freisetzen von Giften“, einer Tat die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung geahndet wird – und die aber in Relation zum tatsächlichen Ereignis völlig deplatziert ist. Kommt es hier zu einer Verurteilung, dann sind Tür und Tor offen für alle weiteren Maßnahmen, weil theoretisch setzt ja jeder irgendwie Gifte frei: Mit der Zigarette, mit dem Abgasen vom Auto – und natürlich auch mit Bengalos, selbst wenn sie das europäische Gütesiegel wie im Düsseldorfer Fall besitzen. Und Fußballfans sind dann ohnehin Freiwild, welches öffentlich zur Schau gestellt werden darf, ohne Gedanken an den Arbeitgeber oder das familiäre Umfeld. Eine ungeheure Entwicklung, die durch die Ereignisse rund um das an diesem Wochenende anstehende Spiel zwischen St. Pauli und Hansa Rostock nur noch getoppt wird: Selbst das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat dem Antrag der Polizei stattgegeben, dass keine Tickets an die Hansa-Fans verkauft werden dürfen. Natürlich sei dies Sippenhaft, diese stehe aber laut Gericht in einem angemessen Verhältnis zur sonstigen Gefahrenquelle. Eine schockierende Ansicht, denn sollte dieses Urteil trotz aller Bemühungen der Vereine (wohlgemerkt!) Schule machen, dann kann man sich den vermeintlichen Erfolg über das Abschaffen von Gästeverboten seitens des DFBs getrost abschmieren. Jetzt entscheidet nämlich die Polizei, wer wann wo hinfahren darf. Und die nimmt mal auf gar nichts Rücksicht, außer ihrer eigenen Meinung. Ein Horrorszenario – jetzt aber wirklich!
Die Entwicklungen der letzten Wochen lassen mehr als Grund zur Sorge bereiten – insbesondere, weil die Spirale schon so weit gedreht wurde, als dass es schwer wird, diese Entwicklungen noch aufhalten zu können. Was bleibt ist im Grunde nur ein Appell an die Vernunft aller und ein Rückbesinnen auf alte Forderungen und alte Verständnisse vom Fußball als soziales Element. Ansonsten gehen bald nicht nur in den Ultra-Kurven „die Lichter aus“…